Helena, der gemeine Wiesenkerbel und die Wölfe
Nein, ich spreche nicht von Helena, deretwegen Griechen ihr Leben vor Troja opferten. Obwohl die griechische Mythologie voll ist von skurrilen und absonderlichen Wesen, wäre die griechische Helena - die mit Paris nach Troja durchbrannte - nur schwer mit einem Büschel weißen Wiesenkerbel im Mund vorstellbar.
Nein, ich spreche auch nicht von Isegrim - canis lupus - einer Unterart der Caniden, der sich, glaubt man den Gebrüder Grimm, mit Rotkäppchen einen bösen Scherz erlaubt hatte.
Nein, ich spreche von meiner 8-jährigen Eselstute, der ich - ihrer Schönheit wegen - den Namen "Helena" gegeben hatte. Mit ihrem schwarzem Fell, 1,40 m Stockmaß, einem weißen Milchmaul und langen Augenwimpern war sie eine stattliche und schöne Erscheinung.
Sie begleitete mich fünf Wochen, beladen mit schwerem Gepäck, auf meinem Weg durch den Schwarzwald.
Oder habe ich sie begleitet? Jedenfalls haben wir auf unserer Wanderung nie ganz klären können, wer hier eigentlich wen führt.
Nur wenn Helena am Wegesrand eine Dolde des gemeinen Wiesenkerbels sichtete, war die Machtfrage geklärt.
Ich habe irgendwann akzeptieren müssen, dass ich angesichts von Wiesenkerbel keine Chance hatte, Sieger zu werden. Lange hab ich gerätselt, warum diese weiße Ackerpflanze so eine Leckerei für Helena ist.
Ich fand die plausible Erklärung in einem botanischen Bestimmungsbuch: zerreibt man die Blätter, erinnert der Geruch an das Aroma von jungen Möhren. Und die Kräuterkunde erklärt uns, dass Wiesenkerbel das Unterscheidungsvermögen fördert, die Wahrheit erkennen lässt und Ordnung in die Gedanken bringt.
Jetzt weiß ich, warum Helena in unklaren Situationen wie angewurzelt stehen blieb, also störrisch war: sie dachte nach und bemühte sich um die Wahrheit!
Nachdem nun geklärt ist, um wen es in meiner Geschichte geht und auch erste Eigenarten meines Eseltiers erwähnt wurden, bleibt noch die Frage nach den Wölfen.
Dazu muss ich vorausschicken, dass ich, vor meiner glücklichen und streitvollen Beziehung zur schönen Helena, nie zuvor mit Eseln oder Pferden zu tun gehabt habe. Es mag sein, dass ich irgendwann einmal in einem Streichelzoo einem Esel mit der Hand über das Fell gefahren bin - mehr Erfahrung hatte ich jedoch nicht mit diesen langohrigen Equiden. Mit Pferden auch nicht.
Allen Menschen, denen ich vorher von meinem Plan erzählt hatte, mit einem Esel zu wandern, hielten meine Idee bestenfalls für abenteuerlich, wenn nicht für absurd und sie malten mir aus, was alles passieren könnte auf der geplanten Wanderung bis zum Golf von Biscaya.
Ich will aufrichtig sein: sie hatten alle recht. Aber dazu später. Die Rede sei vorher noch von den Zweifel-Wölfen.
Diese Wölfe suchten mich zu Beginn unseres Abenteuers jede Nachts so zwischen drei und vier heim.
Sie überfielen mich im Rudel, knurrten, drohten und fletschen ihre Zähne. Sie ließen mich schweißgebadet aufwachen, aber sie gaben dann immer noch keine Ruhe!
Ich kannte sie schon aus Berlin. Die Zweifel nahmen sich auch dort alles, was sie kriegen konnten: dort waren es die alltäglichen Probleme mit Geld, Arbeit und Gesundheit.
Und im Schwarzwald, selbst noch nach Tagen der Wanderung durch Wald, Wiesen und Weinberge, bellten sie mir Fragen entgegen wie diese:
Was ist, wenn das Tier krank wird oder gar verendet?
Was ist, wenn Du selbst krank wirst oder stirbst?
Oder ihr morgen kein Nachtquartier findet?
Oder ihr völlig durchregnet?
Oder das große Unwetter kommt?
Und dann stand der mächtige Leitwolf vor mir, bleckte die Lippen und fletschte die Zähne und knurrte:
Lass den Unsinn!
Brich ab!
Das macht keinen Sinn!
Halt inne, kehr um!
Hast Du das überhaupt nötig?
Mach doch Pauschalurlaub auf Mallorca!
Das nächtliche Wolfsheulen auf der Tour mit Helena dauerte wohl vierzehn Tage. Dann wurden die Wölfe ruhiger und irgendwann ließen sie sich gar nicht mehr blicken!
Doch als die Wölfe schwiegen, passierte das Unglück. Aber soweit bin ich noch nicht!
Wenn ich an unsere glücklichen Tage im Schwarzwald denke, an an die Tour von Pforzheim bis kurz vor Basel, dann sind es besonders zwei Dinge, die sich wie Bergkuppen aus dem Morgennebel der Erinnerung herausheben.
Die Beziehung zu meiner schönen Eselstute und die vielen Menschen, die wir unterwegs trafen.
Die Beziehung zu Helena
Setz ich mich auf meine BMW, dann dreh ich den Zündschlüssel, drücke den roten Startknopf, beweg den Gasgriff, zieh die Kupplung, leg den Gang ein und lass die Fahrt beginnen. Meine bullige, PS-starke Maschine folgt jedem meiner Befehle zuverlässig und präzise. Und in etwa kann ich mir ausrechnen, wann ich mein Ziel erreichen werde.
Diese lange Erfahrung von Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit prägt mein Leben und meine Art Reisen zu planen.
So nahm ich an, dass ein normaler Esel ungefähr 20 km am Tag laufen kann - ich, obwohl ungeübt, auch - und nach 30 Tagen sind wir ca. 600 km gelaufen.
Und dann lauf ich mit Helena zwei Stunden einen schönen, schattigen Waldweg mit Blick auf die Rheinebene, das Straßburger Münster, bis hin zu den mächtigen Vogesen.
Nichtsahnend kommen wir an eine kleine Holzbrücke, die über einen munter plätschernden Bach führt - und Helena sagt:
"Nein, über diese Brücke geh ich nicht."
Da nützt weder ein sanft schmeichelndes, noch ein hart forderndes
"Helena geh!"
Auch kein Schreien!
Es hilft auch nicht, ihr die Gerte zu zeigen - vor der sie sonst hin und wieder Respekt hat.
Helena lässt sich weder auf eine Diskussion mit mir ein, noch durch Leckerlies - wie Apfel-, Zimt-, Ananas -, Waldfrüchte- oder Kräuterkekse -, bestechen.
Vor allem hilft kein Ziehen und Zerren. Eher reißt der Führstrick, als dass mein liebes Packtier sich bewegt. Helena ist in jedem Fall stärker als ich. Sie schaut mich mit großen Augen an und bewegt sich keinen Schritt vorwärts.
Die Brücke ist zu schmal oder der Bach plätschert zu laut. Jedenfalls passt eins von beidem - oder auch beides - nicht in Helenas, durch Wiesenkerbel geordnete Welt.
Wir müssen zurück! Der Tagesplan ist geplatzt. Wir schaffen in 30 Tagen nicht 600 km, sondern nur 580 km!
Neben einem geht eben ein langohriges Wesen mit eigenen Gefühlen, Verstand und Willen, mit eigenen Vorlieben und Abneigungen. Es dauert, bis man dies nicht nur begreift, sondern auch akzeptieren kann, ohne mit den Zähnen zu knirschen!
Helena entführte mich in eine Welt, in der ein "just in time"-Konzept oder ein ADAC-Tourenplaner ebenso unsinnig sind, wie es das Internet im Mittelalter gewesen wäre.
Schrittzähler und GPS können getrost zu Hause bleiben. Das einzige technische Hilfsmittel das noch seinen Sinn behält, ist der Kompass, damit man nicht die Richtung nicht vollends verliert.
Denkt man beim Weitergehen noch über Helenas Psyche nach, umgeht vorsichtig alle Wiesenkerbelverlockungen und Plätscherbäche, freut sich über das gleichmäßige Trappeln der Hufe, bleibt das Teufelstierle unverhofft wieder stehen - ohne dass vor uns eine Verlockung oder Bedrohung zu sehen wäre.
Man dreht sich um, redet begütigend auf sie ein, macht ihr klar, wohin wir heute noch wollen. Sagt ihr dass die nächste Pause erst in einer halben Stunde geplant ist und bemerkt voll Sorge, wie sich Unmut in einem aufbaut - da geht der Blick zurück und man sieht in 10 m Entfernung den weißen, breitkrempigen Sonnenhut auf der Straße liegen, den ich morgens unter einen Gepäckgurt geklemmt hatte, weil die Sonne sich nicht blicken ließ.
Da leistet man dem Tierle dann Abbitte und krault ihm dankbar die langen Ohren.
Über eine andere Art von störrischer Befehlsverweigerung mag ich kaum berichten:
Auch im touristisch gut erschlossenen Schwarzwald sind die Wanderwegmarkierungen nicht immer eindeutig. Da steht man plötzlich vor einer Weggabel und weiß nicht, ob es links oder rechts weiter geht.
Ich habe gelernt, auf Helena zu hören.
Der Weg den sie verweigert, ist mit Sicherheit der falsche. Auf dem Weg, den sie vorschlägt, erreicht man stets das Ziel. Ich mag nicht darüber nachdenken, wie kartographische Kenntnisse in einen Eselskopf kommen. Aber das Eselorakel hat sich als recht zuverlässig erwiesen.
Unsere alltäglichen Konflikte verhinderten nicht das Aufkommen von Sympathie!
Zuerst beobachtete ich am dritten oder vierten Tag, dass Helena meine Zuneigung erwiderte.
Während ich bei der Wanderpause im Gras saß, um die Karte zu studieren, kam sie mir beim Grasen spiralförmig um mich herum immer näher, um schließlich das Gras unter meiner Hose zu rupfen.
Und nicht nur das!
Sie legte dann ihren schweren Eselskopf auf meine Schulter und zermalmte das saftige Grünzeug laut, behaglich und genüsslich. Und wenn ich dann nach oben griff, um ihr die langen Ohren zu kraulen, war das Eselglück vollkommen.
Ich erzählte einem Pferdeexperten von diesem Verhalten. Er runzelte die Stirn und riet mir, dies Verhalten sofort zu unterbinden. In Wirklichkeit ginge es um die Rangordnung zwischen uns, Sie wolle mir nur zeigen, dass sie mit mir alles machen kann.
Ich erzählte einem Eselexperten von diesem Verhalten und von dem Rat den ich bekommen hatte.
"Welch ein Unsinn" sagte der Eselexperte, "Esel kennen - anders als Pferde - gar keine Rangordnung. Sie zeigte dir nur ihre Zuneigung!"
Und diese Auskunft freute mich.
Aber auch die tägliche Arbeit führte uns zusammen.
Theoretisch wusste ich ja, dass der Führstrick nie gespannt sein sollte. Die ersten Tage war er nur gespannt und ein aufmerksamer Beobachter musste den Eindruck gewinnen, dass da ein alter Mann einen Esel mit Gewalt durch die Landschaft zieht.
Doch was sollte ich machen?
Wurde ich langsamer, machte Helena es mir nach - der Führstrick blieb gespannt!
Blieb ich stehen, stand auch Helena!
Erst langsam lernte ich, den Führstrick ein wenig lockerer zu lassen, ohne langsamer zu werden. Nach einigen Tagen stellte sich der Erfolg ein. Und irgendwann schloss Helena zu mir auf und lief fast neben mir - irgendwie hatten wir uns verständigt. Und dabei hatte Helena mich wohl mehr erzogen als ich sie.
Überhaupt konnte Helena Zuneigung zaubern. Doch das ist schon das nächste Thema.
Schreiben Sie mir, wenn Sie das fast tragische Ende meiner Geschichte lesen wollen: gralki@web.de. Ich schicke sie Ihnen gerne kostenlos zu!
Nein, ich spreche auch nicht von Isegrim - canis lupus - einer Unterart der Caniden, der sich, glaubt man den Gebrüder Grimm, mit Rotkäppchen einen bösen Scherz erlaubt hatte.
Nein, ich spreche von meiner 8-jährigen Eselstute, der ich - ihrer Schönheit wegen - den Namen "Helena" gegeben hatte. Mit ihrem schwarzem Fell, 1,40 m Stockmaß, einem weißen Milchmaul und langen Augenwimpern war sie eine stattliche und schöne Erscheinung.
Sie begleitete mich fünf Wochen, beladen mit schwerem Gepäck, auf meinem Weg durch den Schwarzwald.
Oder habe ich sie begleitet? Jedenfalls haben wir auf unserer Wanderung nie ganz klären können, wer hier eigentlich wen führt.
Nur wenn Helena am Wegesrand eine Dolde des gemeinen Wiesenkerbels sichtete, war die Machtfrage geklärt.
Ich habe irgendwann akzeptieren müssen, dass ich angesichts von Wiesenkerbel keine Chance hatte, Sieger zu werden. Lange hab ich gerätselt, warum diese weiße Ackerpflanze so eine Leckerei für Helena ist.
Ich fand die plausible Erklärung in einem botanischen Bestimmungsbuch: zerreibt man die Blätter, erinnert der Geruch an das Aroma von jungen Möhren. Und die Kräuterkunde erklärt uns, dass Wiesenkerbel das Unterscheidungsvermögen fördert, die Wahrheit erkennen lässt und Ordnung in die Gedanken bringt.
Jetzt weiß ich, warum Helena in unklaren Situationen wie angewurzelt stehen blieb, also störrisch war: sie dachte nach und bemühte sich um die Wahrheit!
Nachdem nun geklärt ist, um wen es in meiner Geschichte geht und auch erste Eigenarten meines Eseltiers erwähnt wurden, bleibt noch die Frage nach den Wölfen.
Dazu muss ich vorausschicken, dass ich, vor meiner glücklichen und streitvollen Beziehung zur schönen Helena, nie zuvor mit Eseln oder Pferden zu tun gehabt habe. Es mag sein, dass ich irgendwann einmal in einem Streichelzoo einem Esel mit der Hand über das Fell gefahren bin - mehr Erfahrung hatte ich jedoch nicht mit diesen langohrigen Equiden. Mit Pferden auch nicht.
Allen Menschen, denen ich vorher von meinem Plan erzählt hatte, mit einem Esel zu wandern, hielten meine Idee bestenfalls für abenteuerlich, wenn nicht für absurd und sie malten mir aus, was alles passieren könnte auf der geplanten Wanderung bis zum Golf von Biscaya.
Ich will aufrichtig sein: sie hatten alle recht. Aber dazu später. Die Rede sei vorher noch von den Zweifel-Wölfen.
Diese Wölfe suchten mich zu Beginn unseres Abenteuers jede Nachts so zwischen drei und vier heim.
Sie überfielen mich im Rudel, knurrten, drohten und fletschen ihre Zähne. Sie ließen mich schweißgebadet aufwachen, aber sie gaben dann immer noch keine Ruhe!
Ich kannte sie schon aus Berlin. Die Zweifel nahmen sich auch dort alles, was sie kriegen konnten: dort waren es die alltäglichen Probleme mit Geld, Arbeit und Gesundheit.
Und im Schwarzwald, selbst noch nach Tagen der Wanderung durch Wald, Wiesen und Weinberge, bellten sie mir Fragen entgegen wie diese:
Was ist, wenn das Tier krank wird oder gar verendet?
Was ist, wenn Du selbst krank wirst oder stirbst?
Oder ihr morgen kein Nachtquartier findet?
Oder ihr völlig durchregnet?
Oder das große Unwetter kommt?
Und dann stand der mächtige Leitwolf vor mir, bleckte die Lippen und fletschte die Zähne und knurrte:
Lass den Unsinn!
Brich ab!
Das macht keinen Sinn!
Halt inne, kehr um!
Hast Du das überhaupt nötig?
Mach doch Pauschalurlaub auf Mallorca!
Das nächtliche Wolfsheulen auf der Tour mit Helena dauerte wohl vierzehn Tage. Dann wurden die Wölfe ruhiger und irgendwann ließen sie sich gar nicht mehr blicken!
Doch als die Wölfe schwiegen, passierte das Unglück. Aber soweit bin ich noch nicht!
Wenn ich an unsere glücklichen Tage im Schwarzwald denke, an an die Tour von Pforzheim bis kurz vor Basel, dann sind es besonders zwei Dinge, die sich wie Bergkuppen aus dem Morgennebel der Erinnerung herausheben.
Die Beziehung zu meiner schönen Eselstute und die vielen Menschen, die wir unterwegs trafen.
Die Beziehung zu Helena
Setz ich mich auf meine BMW, dann dreh ich den Zündschlüssel, drücke den roten Startknopf, beweg den Gasgriff, zieh die Kupplung, leg den Gang ein und lass die Fahrt beginnen. Meine bullige, PS-starke Maschine folgt jedem meiner Befehle zuverlässig und präzise. Und in etwa kann ich mir ausrechnen, wann ich mein Ziel erreichen werde.
Diese lange Erfahrung von Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit prägt mein Leben und meine Art Reisen zu planen.
So nahm ich an, dass ein normaler Esel ungefähr 20 km am Tag laufen kann - ich, obwohl ungeübt, auch - und nach 30 Tagen sind wir ca. 600 km gelaufen.
Und dann lauf ich mit Helena zwei Stunden einen schönen, schattigen Waldweg mit Blick auf die Rheinebene, das Straßburger Münster, bis hin zu den mächtigen Vogesen.
Nichtsahnend kommen wir an eine kleine Holzbrücke, die über einen munter plätschernden Bach führt - und Helena sagt:
"Nein, über diese Brücke geh ich nicht."
Da nützt weder ein sanft schmeichelndes, noch ein hart forderndes
"Helena geh!"
Auch kein Schreien!
Es hilft auch nicht, ihr die Gerte zu zeigen - vor der sie sonst hin und wieder Respekt hat.
Helena lässt sich weder auf eine Diskussion mit mir ein, noch durch Leckerlies - wie Apfel-, Zimt-, Ananas -, Waldfrüchte- oder Kräuterkekse -, bestechen.
Vor allem hilft kein Ziehen und Zerren. Eher reißt der Führstrick, als dass mein liebes Packtier sich bewegt. Helena ist in jedem Fall stärker als ich. Sie schaut mich mit großen Augen an und bewegt sich keinen Schritt vorwärts.
Die Brücke ist zu schmal oder der Bach plätschert zu laut. Jedenfalls passt eins von beidem - oder auch beides - nicht in Helenas, durch Wiesenkerbel geordnete Welt.
Wir müssen zurück! Der Tagesplan ist geplatzt. Wir schaffen in 30 Tagen nicht 600 km, sondern nur 580 km!
Neben einem geht eben ein langohriges Wesen mit eigenen Gefühlen, Verstand und Willen, mit eigenen Vorlieben und Abneigungen. Es dauert, bis man dies nicht nur begreift, sondern auch akzeptieren kann, ohne mit den Zähnen zu knirschen!
Helena entführte mich in eine Welt, in der ein "just in time"-Konzept oder ein ADAC-Tourenplaner ebenso unsinnig sind, wie es das Internet im Mittelalter gewesen wäre.
Schrittzähler und GPS können getrost zu Hause bleiben. Das einzige technische Hilfsmittel das noch seinen Sinn behält, ist der Kompass, damit man nicht die Richtung nicht vollends verliert.
Denkt man beim Weitergehen noch über Helenas Psyche nach, umgeht vorsichtig alle Wiesenkerbelverlockungen und Plätscherbäche, freut sich über das gleichmäßige Trappeln der Hufe, bleibt das Teufelstierle unverhofft wieder stehen - ohne dass vor uns eine Verlockung oder Bedrohung zu sehen wäre.
Man dreht sich um, redet begütigend auf sie ein, macht ihr klar, wohin wir heute noch wollen. Sagt ihr dass die nächste Pause erst in einer halben Stunde geplant ist und bemerkt voll Sorge, wie sich Unmut in einem aufbaut - da geht der Blick zurück und man sieht in 10 m Entfernung den weißen, breitkrempigen Sonnenhut auf der Straße liegen, den ich morgens unter einen Gepäckgurt geklemmt hatte, weil die Sonne sich nicht blicken ließ.
Da leistet man dem Tierle dann Abbitte und krault ihm dankbar die langen Ohren.
Über eine andere Art von störrischer Befehlsverweigerung mag ich kaum berichten:
Auch im touristisch gut erschlossenen Schwarzwald sind die Wanderwegmarkierungen nicht immer eindeutig. Da steht man plötzlich vor einer Weggabel und weiß nicht, ob es links oder rechts weiter geht.
Ich habe gelernt, auf Helena zu hören.
Der Weg den sie verweigert, ist mit Sicherheit der falsche. Auf dem Weg, den sie vorschlägt, erreicht man stets das Ziel. Ich mag nicht darüber nachdenken, wie kartographische Kenntnisse in einen Eselskopf kommen. Aber das Eselorakel hat sich als recht zuverlässig erwiesen.
Unsere alltäglichen Konflikte verhinderten nicht das Aufkommen von Sympathie!
Zuerst beobachtete ich am dritten oder vierten Tag, dass Helena meine Zuneigung erwiderte.
Während ich bei der Wanderpause im Gras saß, um die Karte zu studieren, kam sie mir beim Grasen spiralförmig um mich herum immer näher, um schließlich das Gras unter meiner Hose zu rupfen.
Und nicht nur das!
Sie legte dann ihren schweren Eselskopf auf meine Schulter und zermalmte das saftige Grünzeug laut, behaglich und genüsslich. Und wenn ich dann nach oben griff, um ihr die langen Ohren zu kraulen, war das Eselglück vollkommen.
Ich erzählte einem Pferdeexperten von diesem Verhalten. Er runzelte die Stirn und riet mir, dies Verhalten sofort zu unterbinden. In Wirklichkeit ginge es um die Rangordnung zwischen uns, Sie wolle mir nur zeigen, dass sie mit mir alles machen kann.
Ich erzählte einem Eselexperten von diesem Verhalten und von dem Rat den ich bekommen hatte.
"Welch ein Unsinn" sagte der Eselexperte, "Esel kennen - anders als Pferde - gar keine Rangordnung. Sie zeigte dir nur ihre Zuneigung!"
Und diese Auskunft freute mich.
Aber auch die tägliche Arbeit führte uns zusammen.
Theoretisch wusste ich ja, dass der Führstrick nie gespannt sein sollte. Die ersten Tage war er nur gespannt und ein aufmerksamer Beobachter musste den Eindruck gewinnen, dass da ein alter Mann einen Esel mit Gewalt durch die Landschaft zieht.
Doch was sollte ich machen?
Wurde ich langsamer, machte Helena es mir nach - der Führstrick blieb gespannt!
Blieb ich stehen, stand auch Helena!
Erst langsam lernte ich, den Führstrick ein wenig lockerer zu lassen, ohne langsamer zu werden. Nach einigen Tagen stellte sich der Erfolg ein. Und irgendwann schloss Helena zu mir auf und lief fast neben mir - irgendwie hatten wir uns verständigt. Und dabei hatte Helena mich wohl mehr erzogen als ich sie.
Überhaupt konnte Helena Zuneigung zaubern. Doch das ist schon das nächste Thema.
Schreiben Sie mir, wenn Sie das fast tragische Ende meiner Geschichte lesen wollen: gralki@web.de. Ich schicke sie Ihnen gerne kostenlos zu!
graljaho - 15. Jul, 19:03